Keine Geltendmachung von Arbeitnehmerhaftung bei Möglichkeit des Arbeitgebers, Versicherung in Anspruch zu nehmen

LAG Köln, Urteil vom 27.01.2011 – 7 Sa 802/10

Hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, für Schäden, die ein Arbeitnehmer in Ausübung seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit verursacht hat, eine Versicherung in Anspruch zu nehmen, so gebietet es die arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht, hiervon vorrangig Gebrauch zu machen. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus Arbeitnehmerhaftung kommt dann grundsätzlich nur für solche Schäden in Betracht, für die die vorhandene Versicherung nicht eintritt oder für die diese ihrerseits Regress beim Arbeitnehmer nehmen könnte.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.05.2010 in Sachen 9 Ca 936/09 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 58,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 05.06.2008 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche der Klägerin/Arbeitgeberin, die im Wesentlichen aus dem Verlust von Paketsendungen und zweier Nachnahmebeträge resultieren, für den jeweils der Beklagte verantwortlich gemacht wird.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 9. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, der Klage in vollem Umfang stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 05.05.2010 Bezug genommen.

Die tatbestandlichen Feststellungen sind dahin zu ergänzen, dass der Klägerin die Schadensbeträge wegen der beiden am 15.10.07 verloren gegangenen Pakete (Positionen Buchstabe b und c auf Seite 6 der Widerklageschrift vom 02.06.2008) seitens ihres Hauptauftraggebers am 14.12.2007, bzw. 20.12.2007 belastet wurden, der Schadensbetrag wegen des Paketes vom 21.11.2007 am 21.01.2008, wegen des Paketverlustes vom 09.01.2008 am 16.04.2008. Die beiden Nachnahmeverluste vom 14.12.2007 wurden der Klägerin am 18.12.2007 belastet, die sich hierauf beziehenden Vertragsstrafen am 28.12.2007. Die Klägerin hat den Beklagten nach eigenem Bekunden erstmals mit Schreiben vom 19.03.2008 darüber informiert, dass ihm anvertraute Pakete in Verlust geraten und von ihm entgegen genommene Nachnahmegelder nicht abgeführt worden seien. Ihre Schadensersatzforderung hat die Klägerin sodann in dem damals laufenden Kündigungsschutzprozess am 03.06.2008 als Widerklage anhängig gemacht.

Mit Strafurteil des Amtsgerichts Kerpen vom 16.03.2009 ist der Beklagte wegen des Paketverlustes vom 28.02.2007 (Kunde W ) rechtskräftig wegen Unterschlagung und Urkundenfälschung verurteilt worden. Wegen der übrigen im vorliegenden Schadensersatzprozess streitigen Einzelvorfälle wurde das gegen den Beklagten gerichtete Strafverfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.05.2010 in vorliegender Sache wurde dem Beklagten am 18.05.2010 zugestellt. Der Beklagte hat hiergegen am 17.06.2010 Berufung einlegen und diese zugleich auch begründen lassen.

Der Beklagte macht geltend, er habe die unstreitig abhanden gekommenen Paketsendungen nicht unterschlagen und habe deren Verlust auch nicht grob fahrlässig verursacht.

Der Beklagte erinnert daran, dass er arbeitstäglich im Durchschnitt ca. 200 Paketsendungen in dem Depot der Firma D habe in Empfang nehmen und anschließend ausliefern müssen. In Anbetracht dieser von ihm zu bearbeitenden Mengen und in Anbetracht des Umstands, dass die Klägerin sich erst mit erheblicher, monatelanger zeitlicher Verzögerung wegen dieser Verluste an ihn gewandt habe, könne er mangels entsprechender Erinnerung zu den Einzelfällen nicht mehr detailliert Stellung nehmen.

Es sei ohne Weiteres denkbar und in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, dass in Anbetracht der Hektik und drangvollen Enge im Depot der Firma D beim morgendlichen Aufnehmen, Sortieren, Scannen und Verladen der Pakete ein Paket auch noch nach dem Scan-Vorgang auf „den falschen Haufen“ geraten könne. Nicht auszuschließen sei auch, dass hier oder im Laufe der Auslieferungstour im öffentlichen Verkehrsraum Pakete aus dem Transportwagen entwendet werden könnten. Ebenso wenig sei auszuschließen, dass ein Paket ohne Verschulden des Auslieferungsfahrers bei einem falschen Empfänger lande, etwa wenn sich jemand als der genannte Empfänger ausgebe, das Paket aber nicht weiterleite.

Auch wegen der Nachnahmegelder sei der Klägerin anzulasten, dass sie ihn, den Beklagten, nicht zeitnah mit den angeblichen Verfehlungen konfrontiert habe. Bei der Firma D sei es im Übrigen so, dass aufgrund eines dort installierten Alarmsystems ein Fahrer, der seine Nachnahmegelder nicht ordnungsgemäß eingezahlt habe, bei der nächsten Tour am Folgetag nicht vom Hof gelassen werde. Hier gehe es um Gelder, die am 14.12.2007 hätten eingezahlt werden müssen. Dennoch sei er, der Beklagte, am Folgetag nicht angehalten worden, er sei von niemandem auf einen entsprechenden Vorfall angesprochen worden und es sei auch nicht etwa seitens der Klägerin bei der nächsten Lohnzahlung ein entsprechender Betrag einbehalten worden.

Der Beklagte beruft sich schließlich darauf, dass die Klägerin vorrangig die von ihr für solche einschlägigen Verlustfälle abgeschlossene Versicherung habe in Anspruch nehmen müssen.

Der Beklagte und Berufungskläger führt seine teilweise Verurteilung im Strafprozess im Übrigen darauf zurück, dass er die Strafsache ohne anwaltlichen Beistand habe durchstehen müssen. Einen Verteidiger habe er sich finanziell nicht leisten können und ein Fall der Pflichtverteidigung habe nicht vorgelegen.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt nunmehr,

die Klage unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln, Az.: 9 Ca 936/09, vom 05.05.2010 abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte hält das arbeitsgerichtliche Urteil für zutreffend. Das Verteidigungsvorbringen des Beklagten beruhe auf Mutmaßungen und Spekulationen „ins Blaue hinein“, die ihn überdies vom Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens nicht entlasten könnten. Eine Inanspruchnahme ihrer Versicherung scheide aus, gerade weil der Verlust der fraglichen Pakete bzw. Nachnahmegelder auf – mindestens – grobe Fahrlässigkeit des Beklagten zurückzuführen sei.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift des Beklagten und der Berufungserwiderungsschrift der Klägerin Bezug genommen. Insbesondere wird auch Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2011.


Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.05.2010 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft. Sie wurde auch nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Beklagten hat auch zum ganz überwiegenden Teil Erfolg. Die Schadensersatzklage der ehemaligen Arbeitgeberin des Beklagten ist nur in dem sich aus dem Tenor des Berufungsurteils ergebenden Umfang begründet.

1. Ohne Erfolg bleibt die Berufung des Beklagten, soweit die Klägerin Schadensersatz wegen des Paketverlustes vom 28.02.2007 bei dem Kunden W geltend macht. Hierbei handelt es sich um eine Schadenssumme von 38,07 €. Wegen dieses Vorgangs ist der Beklagte vom Amtsgericht Kerpen nach Beweisaufnahme rechtskräftig wegen Unterschlagung in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilt worden. Der Beklagte beteuert zwar auch insoweit – jedenfalls was die Unterschlagung angeht – seine Unschuld und führt seine Verurteilung nur darauf zurück, dass er im Strafverfahren nicht anwaltlich vertreten gewesen sei. Er hat aber gleichwohl auch im vorliegenden Berufungsverfahren – nunmehr mit anwaltlicher Vertretung – keine substantiierte Begründung dafür gegeben, dass er entgegen den Feststellungen aus dem Strafverfahren für den Verlust des Paketes des Kunden W nicht verantwortlich gemacht werden könnte.

Ferner schuldet der Beklagte der Klägerin auch 20,00 € für den Verlust der Tankkarte. Der Erhalt der Tankkarte ist unstreitig. Zu den Umständen und Gründen ihres Verlustes verliert der Beklagte kein Wort.

In dem Umfang, in dem die Schadensersatzklage der Klägerin erfolgreich war, ist der Schadensbetrag auch antragsgemäß zu verzinsen.

2. Wegen der weitergehenden Schadenspositionen war das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.05.2010 jedoch zur Überzeugung des Berufungsgerichts abzuändern und die Klage der Arbeitgeberin insoweit abzuweisen. Die Voraussetzungen eines arbeitgeberseitigen Schadensersatzanspruches hat die Klägerin insoweit nicht ausreichend dargetan.

a. Unstreitig hat die Klägerin eine Versicherung abgeschlossen, die für Schäden aufkommt, die aus dem Verlust von Paketen und Nachnahmegeldern entstehen können. Hat die Arbeitgeberin die Möglichkeit, für Schäden, die ein Arbeitnehmer in Ausübung seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit verursacht hat, eine Versicherung in Anspruch zu nehmen, so gebieten es die gegenseitigen arbeitsvertraglichen Fürsorgepflichten, von dieser Möglichkeit auch vorrangig Gebrauch zu machen. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Arbeitnehmer aus Arbeitnehmerhaftung kommt in solchen Fällen grundsätzlich nur für solche Schäden in Betracht, für die die vorhandene Versicherung nicht eintritt oder für die sie ihrerseits Regress beim Arbeitnehmer nehmen könnte (BAG vom 24.11.1987, DB 1988, 1606; BAG vom 18.1.2007, BB 2007, 1008; LAG Köln vom 7.5.1992, DB 1992, 2093; Küttner/Griese, Personalbuch 2010, Stichwort Arbeitnehmerhaftung Rdnr.17).

b. Vorliegend gibt die Klägerin an, dass ihre Versicherung in den Fällen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit nicht eintrete. Da dem Beklagten aber mindestens grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht Vorsatz anzulasten sei, könne sie, die Klägerin nicht auf eine vorrangige Inanspruchnahme der Versicherung verwiesen werden.

c. Daraus folgt: Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten wegen der beiden Paketverluste vom 15.10.2007, der Paketverluste vom 21.11.2007 und 09.01.2008 sowie wegen des Verlustes der beiden Nachnahmeeinnahmen vom 14.12.2007 kommt nur in Betracht, wenn erstens der Beklagte überhaupt für den Verlust der Pakete bzw. Gelder verantwortlich gemacht werden kann und zweitens wenn feststeht, dass den Beklagten insoweit mindestens ein grob fahrlässiges Verschulden trifft.

3. Unstreitig hat der Beklagte die streitgegenständlichen Pakete im Depot der Firma D in Empfang genommen. Dies hat er durch das Einscannen der Pakete in seinen persönlichen Scanner dokumentiert. Ebenso unstreitig haben die Pakete ihren rechtmäßigen Empfänger nicht erreicht. Auch die Nachnahmegelder vom 14.12.2007 hat der Beklagte unstreitig kassiert. Da sich Pakete wie Nachnahmegelder zu dem Zeitpunkt, von dem ab der weitere Verbleib nicht mehr nachvollzogen werden kann, in der Obhut des Beklagten befanden, ist der Beklagte „dem Grunde nach“ zunächst für den Verlust verantwortlich zu machen.

4. Dies reicht jedoch für die Annahme einer Schadensersatzverpflichtung des Beklagten nicht aus. Wie bereits ausgeführt, kommt vorliegend eine Haftung des Beklagten nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass der Beklagte den Verlust der Pakete bzw. Nachnahmegelder mindestens grob fahrlässig verursacht hat. Darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der Beklagte den der Klägerin entstandenen Schaden, der auf dem Verlust der Pakete und Nachnahmegelder beruht, mindestens grob fahrlässig verursacht hat, ist gemäß § 619 a BGB die Klägerin als Anspruchstellerin. Aus dem Sachvortrag der Klägerin lässt sich der Schluss, der Beklagte müsse den Verlust der fraglichen Pakete und der beiden Nachnahmegelder vom 14.12.2007 mindestens grob fahrlässig verursacht haben, jedoch nicht ziehen.

a. Vorliegend kann sich die Anspruchstellerin nicht auf die Grundsätze der abgestuften Darlegungslast berufen.

aa. Zwar wäre „an sich“ zunächst von dem Beklagten zu erwarten gewesen, dass er die näheren Umstände des Verlustes der fraglichen Pakete und Gelder im Einzelfall nach bestem Wissen und Gewissen soweit als möglich konkret eingrenzt und dabei zugleich aufzeigt, dass Ansatzpunkte für den Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens seinerseits nicht zwingend vorliegen. Demgegenüber hat sich der Beklagte vorliegend mit den jeweiligen Einzelfällen nicht näher konkret auseinandergesetzt, sondern nur abstrakte und allgemeine Fehlerquellen aufgezeigt, die zu dem Verlust der Pakete und Gelder geführt haben könnten.

bb. Dieses Defizit in den Darlegungen des Beklagten ist aber nicht diesem selbst, sondern der Klägerin anzulasten.

(1) Es erscheint auffällig und bemerkenswert, dass die Klägerin zwischen dem Zeitpunkt, zu dem sie selbst von ihrer Hauptauftraggeberin mit den fraglichen Schadensbeträgen belastet wurde, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erstmals wegen dieser Angelegenheiten an den Beklagten herangetreten ist, mehrere Monate hat verstreichen lassen. Besonders bemerkenswert erscheint dies im Hinblick auf die Paketverluste vom 15.10.2007 und den Verlust der Nachnahmegelder vom 14.12.2007. Die Schäden aus den Paketverlusten vom 15.10.2007 in einer Gesamthöhe von immerhin 488,30 € wurden der Klägerin am 14.12.2007 bzw. 20.12.2007 belastet. Wegen der abhanden gekommenen Nachnahmegelder vom 14.12.2007 in einer Gesamthöhe von 380,80 € nahm die Firma D die Klägerin am 18.12.2007 in Anspruch und belastete ihr zusätzlich am 28.12.2007 Vertragsstrafen. Gleichwohl meldete sich die Klägerin mit der Information wegen dieser Schadensfälle erstmals erst am 19.03.2008 bei dem Beklagten. Bemerkenswert erscheint dieser Umstand, weil ein Arbeitgeber, dem sich der Eindruck aufdrängt, sein Arbeitnehmer habe ihn in mehreren Fällen mindestens grob fahrlässig, wenn nicht vorsätzlich in derart gravierendem Umfang geschädigt, schon in eigenem Interesse unverzüglich hierauf reagiert. Beispielhaft ist auch an § 626 Abs. 2 S. 1 BGB zu erinnern.

(2) Das zögerliche Verhalten der Klägerin bewirkt aber auch, dass der Beklagte in Anbetracht des typischen Massengeschäfts der Paketzustellung sich nach so langer Zeit verständlicherweise nicht mehr an konkrete Einzelheiten bestimmter Zustell- oder auch Kassiervorgänge wird erinnern können. Dies bedeutet, dass die zeitlich verzögerte Geltendmachung die Möglichkeiten des Beklagten erheblich erschwert, sich wegen der Vorwürfe objektiv überzeugend durch Angabe von Einzelheiten rein zu waschen.

(3) Dem Beklagten ist somit nicht zu verdenken, dass er sich vorliegend in Beantwortung der klägerischen Vorwürfe auf Hinweise zu potentiell möglichen Fehlerquellen und strukturellen Schwachstellen des Arbeitsablaufs beschränken musste.

b. In Anbetracht dessen ist es angesichts der Umstände des vorliegenden Einzelfalles der Klägerin nicht gelungen, das Berufungsgericht davon zu überzeugen, dass bei vernünftiger und objektiv lebensnaher Betrachtung nur ein mindestens grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten zum Verlust der fraglichen Pakete und Nachnahmegelder geführt haben kann. Hierbei ist zwischen den Paketverlusten vom 15.10.2007, 21.11.2007 und 09.01.2008 einerseits und den Verlusten der Nachnahmegelder am 14.12.2007 zu differenzieren.

aa. Paketverluste

(1) In erster Linie hat sich der Kläger dahin eingelassen, bei dem allmorgendlichen Aufnehmen, Sortieren, Scannen und Verladen von durchschnittlich etwa 200 auszuliefernden Paketen pro Arbeitstag könne es zu Fehlern kommen, etwa indem ein bereits gescanntes Paket auf den falschen Sortierhaufen falle oder auch unbeabsichtigt oder durch böse Absicht Dritter im falschen Fahrzeug lande.

(2) Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass der Beklagte ab dem Zeitpunkt, in welchem er ein Paket mit seinem persönlichen Scanner scannt, dieses persönlich in Empfang nimmt und dessen weiteren Verbleib nunmehr mit besonderer Sorgfalt sichern muss. Um einigermaßen sicher gehen zu können, das Fehlleitungen gescannter Pakete vermieden werden, müsste jedes Paket sofort nach dem Scannen in dem eigenen Auslieferungswagen deponiert werden, während des Einscannens der durchschnittlich ca. 200 Pakete müsste der bereits teilweise befüllte Auslieferungswagen ständig im Auge behalten werden und jedes Mal, wenn sich der Fahrer von dem Wagen entfernt, müsste der Wagen abgeschlossen werden.

(3) Zu alldem bedürfte es dann allerdings auch entsprechender Arbeitsanweisungen seitens der Klägerin. Der Beklagte hat aber in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, die Ladeplätze der diversen Fahrzeuge bei dem allmorgendlichen Aufladevorgang lägen eng beieinander, er verhalte sich beim Aufladen so, wie alle anderen Kollegen der Klägerin, einschließlich auch des Geschäftsführers, der immer wieder selber Auslieferungsfahrten übernehme. In Anbetracht der zu bewältigenden Mengen sei es nicht ungewöhnlich, dass Pakete auch einmal fehlsortiert würden.

(4) Eine weitere naheliegende Maßnahme zur Vermeidung von Verlusten oder zumindest zur Sicherstellung einer möglichst zeitnahen Aufklärung hätte auch darin bestehen können, die nach dem Einlesen der einzelnen Scanner in das EDV-System der Firma D entstehenden Computerlisten bei jeder Auslieferungsfahrt nach erfolgter Einzelauslieferung abzuhaken. Gäbe es eine solche Praxis, würde schon während der laufenden Auslieferungsfahrt auffallen, wenn ein eingescanntes Paket nicht an Bord ist. Eine entsprechende Funktion hatten die Listen bei der Klägerin aber nicht. Eine entsprechende Arbeitsanweisung war nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag des Beklagten nicht erteilt worden. Die Klägerin selbst hat eine entsprechende Arbeitsanweisung auch nicht vorgetragen. Hätte es eine solche Anweisung gegeben, hätte im Übrigen auch die Klägerin selbst ein Mittel an der Hand gehabt, das Fehlen von Paketen zeitnah zu kontrollieren bzw. aufzuklären.

(5) Fehlen bei der Klägerin aber eindeutige Arbeitsanweisungen und verhält sich der Kläger in seinen alltäglichen Arbeitsabläufen nicht anders, wie er dies entsprechend der vom Arbeitgeber geduldeten Üblichkeit bei den Mitarbeitern seiner Arbeitgeberfirma gelernt hat, so kann ihm ein entsprechendes Verhalten unternehmensintern nicht als grob fahrlässig angelastet werden.

(6) Mit anderen Worten: Nach Lage der Dinge kann nicht ausgeschlossen werden, dass die im vorliegenden Verfahren fraglichen Paketverluste eintreten konnten, ohne dass hierfür zwingend ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten erforderlich war.

bb. Nachnahmegelder vom 14.12.2007

(1) Während der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Beklagte persönlich für die Berufungskammer glaubhaft ausgeführt, dass es in dem fraglichen Zeitraum wegen des erhöhten Arbeitsanfalls in der Vorweihnachtszeit öfters vorgekommen sei, dass die Tagestouren erst nach 20 Uhr abgeschlossen werden konnten, so dass eine Einzahlung während der Tour kassierter Nachnahmegelder bei der dafür vorgesehenen Kasse von D nicht mehr möglich gewesen sei. In solchen Fällen sei es bei der Klägerin dann allgemein üblich gewesen, das bei Nachnahmen vereinnahmte Geld abends dem Chef persönlich zu übergeben, damit dieser es dann am Folgetag einzahle. Eine Quittung habe der Chef dabei regelmäßig nicht erteilt.

(2) Diesem Vortrag des Beklagten ist die klagende Partei nicht entgegen getreten. Nach einer während der mündlichen Verhandlung erfolgenden telefonischen Rücksprache zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin und dem ebenfalls persönlich zum Termin geladenen, aber unentschuldigt nicht erschienenen Geschäftsführer ließ dieser vielmehr lediglich nochmals ausführen, dass die sonst üblichen Kontrollen der Firma D , die bewirkten, dass ein Fahrer, bei dem Nachnahmegelder offen standen, am Folgetage nicht vom Hof gelassen würde, in der Vorweihnachtszeit nicht vorgenommen worden seien.

(3) Die Angabe des Beklagten, es sei allgemein nicht üblich gewesen, bei der Aushändigung von Nachnahmegeldern an den Chef sich von diesem Quittungen geben zu lassen, erschien der Berufungskammer glaubhaft und in Anbetracht des typischen Über-, Unterordnungsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und oberstem Repräsentanten des Arbeitgebers in einem kleinen Unternehmen nachvollziehbar.

(4) Dann steht aber nicht einmal mehr mit dem erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit fest, dass der Beklagte für ein Verschwinden der Nachnahmegelder überhaupt verantwortlich ist, bzw. dass die Gelder überhaupt verschwunden sind, geschweige denn, dass man dem Beklagten insoweit grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz anzulasten hätte.

c. Aus den genannten Gründen sind die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten in einem Umfang, der über den Tenor des Berufungsurteils hinaus geht, nicht ausreichend dargelegt. Die Klage war daher entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nach dem zuletzt erreichten Sach- und Streitstand ganz überwiegend abzuweisen.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung einer Revision liegen nicht vor.

Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht statthaft.

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